„Vogel fliegt. Fisch schwimmt. Mensch läuft.“

Zitat: Emil Zátopek

 

© Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg Caspar Mohr und Dädalus (Ausschnitt aus dem Deckengemälde der Bibliothek des Klosters Schussenried)

Um von der Insel, auf der sie gefangen gesetzt waren, zu fliehen, fertigte Dädalus für sich und seinen Sohn Ikarus aus Gestänge, Wachs und Federn Flügel. Im Laufe des Fluges übermütig geworden, ignorierte Ikarus die Anweisungen seines Vaters, nicht zu hoch und nicht zu tief zu fliegen, da sonst die Hitze der Sonne beziehungsweise die Feuchte des Meeres zum Absturz führen würde. Ikarus kam der Sonne zu nahe, das Wachs seiner Flügel schmolz und er stürzte zu Tode.

Nicht nur die griechischen Mythologie kennt den Traum des Menschen, frei wie ein Vogel zu fliegen. Leonardo da Vinci (1452 – 1519) ergründete den Flug der Vögel und skizzierte und konstruierte Flugapparaturen. Otto Lilienthal (1848 – 1896) absolvierte Gleitflüge.

Doch auch in der Region unseres Landesverbandes waren Menschen, vom Traum zu fliegen, beseelt; nicht nur Albrecht Ludwig Berblinger (1770 – 1829), bekannt als „Der Schneider von Ulm“.

In der damaligen Prämonstratenserabtei im oberschwäbischen Schussenried machte der Chorherr Caspar Mohr (1575 – 1625) mit seinen Forschungen und Konstruktionen so lange von sich reden, bis ihm der Abt verbot, damit aus dem dritten Stockwerk des Klosters zu springen.

Zirka 150 Jahre nach dem Bau seines Flugmodelles, haben die Patres ihrem wissbegierigen Mitbruder im Deckengemälde der Barockbibliothek ein Denkmal gesetzt.

TIPP


Interessantes über das Kloster,

seine Geschichte und seine

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 kloster-schussenried.de

 

Und weitere mehr als 150 Jahre später – das Kloster war bereits aufgehoben, enteignet und in eine Psychiatrische Anstalt umgewandelt worden – durchlebte Gustav Mesmer (1903 – 1994) Zeiten der Entmündigung und Entrechtung in den barocken ehemaligen Konventsgebäuden. Der eigenbrötlerische junge Mann war 1929 in die geschlossene Einrichtung verbracht und als fleißiger und produktiver Arbeiter in den dortigen Werkstätten eingesetzt worden. Seine phantasievollen Zeichnungen und Konstruktionspläne für Flugräder wurden von den Anstaltsärzten als Bestätigung einer wahnhaften Geisteskrankheit herangezogen.

Nach weiteren Jahren im Psychiatrischen Landeskrankenhaus Weißenau (1949 – 1964) wurde Gustav Mesmer endlich aus der Psychiatrie entlassen und in einer diakonischen Einrichtung in Buttenhausen im Großen Lautertal (Schwäbische Alb) aufgenommen. Hier erhielt er die Freiheit, in einer eigenen kleinen Werkstatt nicht nur Körbe zu flechten, sondern auch seine Flugräder zu bauen und Testläufe damit zu starten.

 

Bald wurde er von der Bevölkerung als „Ikarus vom Lautertal“ wahrgenommen und anerkannt.

© Hartmaier (Gustav Mesmer Stiftung) Gustav Mesmer in seiner Werkstatt in Buttenhausen mit einer seiner gezeichneten Flugmaschinen

Eines seiner Flugmodelle wurde bei der Weltausstellung von Sevilla 1992 im deutschen Pavillion präsentiert.

1993 kehrte Gustav Mesmer schließlich in seine oberschwäbische Heimatgemeinde zurück. Ende 1994 ist er nach dem Sturz von einer Treppe gestorben.

Gustav Mesmers Geschichte ist nicht nur eine Geschichte vom Traum vom Fliegen, sie ist auch „eine Geschichte der Einsamkeit“, wie Patricia Noll in ihrem Beitrag für das Deutschlandradio Kultur „Der Ikarus vom Lautertal“ (2008) bemerkte. Und sie ist eine Geschichte der Ab- und Aussonderung dessen, was sich nicht in die Norm fügt.

Heute betreibt die BruderhausDiakonie in Buttenhausen das Café Ikarus, in dessen Service Menschen mit psychischer Erkrankung oder Behinderung Beschäftigung finden.

 

Tipp


Im kleinen Ort Buttenhausen verdichtet sich die neuere deutsche Geschichte.

Buttenhausen hatte Anfang des letzten Jahrhunderts nicht nur eine große jüdische Gemeinde, in dem liberalen christlich-jüdischen Dorf wurde auch Matthias Erzberger (1875 – 1921), ein Wegbereiter der deutschen Demokratie, geboren.

In der NS-Zeit werden ein Arbeitslager und eine Verwahranstalt für „Trinker“, „gefallene Mädchen“ und behinderte Menschen angesiedelt.

Danach hat sich das Landheim Buttenhausen zu einem Beschäftigungs- und Bewahrungsort und schließlich zu einem Lebensort für Menschen mit Unterstützungsbedarf entwickelt.

 buttenhausen.de

bruderhausdiakonie-buttenhausen.de